Aufklären

Eine Definition: Aufklären als angewandt-linguistisches Tätigkeitsfeld

Aufklären bedeutet, aus eigener Verantwortung und Initiative heraus (also ohne Aufforderung oder Mandat von dritter Seite) inhaltliche Klarheit befördern und herstellen zu wollen.

Auf der Grundlage von Experten­wissen werden dazu komplexe, insbesondere als problematisch wahrgenom­mene Sachverhalte mit dem Ziel aufgeschlüsselt, Vorurteile oder irrationale und emotionsbelastete Einschätzungen durch einen Zuwachs an Erkenntnis und Urteils­vermögen aufzulösen.

Aufklärung wendet sich in diesem Sinne an ein breites, nicht nä­her spezifiziertes Publikum; oft an die Gesellschaft insgesamt.

Angewandte Linguistinnen und Linguisten identifizieren bestehende und potentielle sprachbezogene Probleme in der Gesellschaft, analysieren sie, informieren die Gesellschaft über ihre Befunde und erstellen Vorschläge. Sie wollen damit ein Verständnis für die sprachlichen und sprachbezogenen Probleme in der Gesellschaft herstellen und zu ihrer Auflösung beitragen.

Simone Voran, Universität Würzburg

Tätigkeitsfelder: Aufklären

Warum aufklären? Die Ausgangslage:

Soziale Konflikte, öffentliche Debatten und Kontroversen sind Teil des gesellschaftlichen Zusammenlebens und prägen das Miteinander. Die den Debatten zugrunde liegenden Probleme liegen nicht nur an unterschiedlichen inhaltlichen Positionierungen. Sie sind häufig auch sprachbasiert! Durch aufklärende angewandt-linguistische Arbeit können sprachbezogene Konflikte aufgedeckt, sprachliche Handlungsweisen entwickelt und Handlungsmöglichkeiten eröffnet werden.

Probleme des Sprachgebrauchs in der Gesellschaft müssen überhaupt erst erkannt werden – das erforderlich sprachliche Sensibilität. Angewandte Linguistinnen und Linguisten agieren deshalb als „Spürnasen“ für die sprachlichen Aspekte gesellschaftlicher Kontroversen und verfolgen Debatten und Diskurse aufmerksam mit dem Ziel, die Hintergründe sprachbezogener Probleme besser nachzuvollziehen.

Wie wird aufgeklärt? Der Prozess:

Zunächst identifizieren Angewandte Linguistinnen und Linguisten Situationen und Themenbereiche mit (potentiellen) Kommunikationsproblemen. Sprachliche oder kommunikative Probleme werden erfasst, wissenschaftlich beschrieben und analysiert. In Vorträgen, Interviews, Zeitschriftenbeiträgen oder Podcasts werden Lösungen entwickelt und diskutiert.

Hier ein paar Beispiele:

  • Im Kontext gewünschter geschlechtersensibler Sprachverwendung kann beispielsweise eine spezifische Lexemauswahl linguistisch untersucht und dann in ihren möglichen Problemen erklärt werden. Aus solchen Befunden können Empfehlungen für angemessen-höfliches Sprachverhalten hervorgehen.
  • Für komplizierte Texte der Behörden und der Verwaltung können mit Blick auf sprachliche Verständlichkeit komplexe syntaktische Strukturen analysiert werden. Die fachliche Identifikation der sprachlichen Phänomene, die einen Text kompliziert und unverständlich machen, können in Vorschläge zur Verbesserung der Textverständlichkeit eingehen.
  • Und in einem ganz konkreten Beispiel: Während der Coronapandemie gab Annette Klosa-Kückelhaus vom IDS (Mannheim) in mehreren Interviews Einblicke in die damals hochaktuellen Forschungen zur Versprachlichung des Themas Corona, insbesondere zu neuem Wortschatz, der durch die Pandemie aufkam. (In diesem Rahmen entstand auch ein sprachdokumentierendes Neologismenwörterbuch, das die Lexeme beleggestützt verzeichnet und ihre Bedeutungen erläutert.)

Angewandt arbeitende Linguistinnen und Linguisten versuchen so vor dem Hintergrund ihrer Analysen, konstruktive Lösungsvorschläge für sprachbezogene Probleme in gesellschaftlichen Debatten zu entwickeln und in die öffentliche Kommunikation einzubringen. Die Begleitung gesellschaftlicher Debatten durch Linguistinnen und Linguisten gehört daher zu den zentralen Tätigkeiten Angewandter Sprachwissenschaft.

Angewandt-linguistische Aufklärungsarbeit trägt also zur Sensibilisierung für und zur Lösung von sprachbezogenen Problemen bei. Sie fördert gleichzeitig ein generelles, sprachkritisches Bewusstsein!

Und wer ist die Zielgruppe?

Linguistische Aufklärungsarbeit richtet sich in der Regel an ein breites, nicht näher spezifiziertes Publikum. Dies kann zum Beispiel die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit sein oder auch eine bestimmte Berufsgruppe.

Gelungenes sprachliches Aufklären ist:

Linguistische Aufklärarbeit verfolgt das Ziel, Vorurteile oder irrationale und emotionsbelastete Einschätzungen hinsichtlich sprachbezogener Probleme durch ein gesteigertes Urteilsvermögen zu reduzieren. Dabei soll ein sprachkritisches Bewusstsein bzw. ein erhöhtes Sprachbewusstsein in der Öffentlichkeit geschaffen werden.

Angewandte Linguistik kann durch Aufklärungsarbeit dabei unterstützen, offen für sprachbezogene Sensibilisierungen zu werden, den eigenen Sprachgebrauch zu überdenken und zu verändern. Sie eröffnet auf diese Weise Möglichkeiten zu sprachlich verantwortlichem Handeln.

Uns unsere Einschätzung:

Angewandt-linguistische Aufklärungsarbeit ist wichtig, denn sie trägt auf fachlicher Grundlage zur Sensibilisierung des Sprachgebrauchs und zur Lösung sprachbezogener Probleme bei. Sie fördert dadurch ein sprachkritisches Bewusstsein. Angewandte Linguistinnen und Linguisten treten dafür in den Dialog mit der Gesellschaft und bringen sprachbezogene Probleme und Lösungsansätze in den gesellschaftlichen Diskurs ein.

Simone Voran, Universität Würzburg

Sprachkritik

Diese reflektiert funktionale und situative Angemessenheit sprachlicher Äußerungen. Je nachdem wie und in welchem Kontext eine bestimmte sprachliche Äußerung verwendet wird, kann ihre Funktion angemessen oder weniger angemessen sein beziehungsweise als solche empfunden werden. Angewandt-linguistische Aufklärung über in einer Sprache übliche Ausdrucksweisen sowie deren Effekte kann dazu beitragen, Sprachbewusstsein zu entwickeln und ergänzend zu unterstützen. Weiterführende Handreichungen zu den Auswirkungen und der Verwendung von bestimmten Sprachgebräuchen können als Orientierungshilfe in der Praxis dienen (vgl. GAL Sprachkritik).

 

Gesprächsforschung

Akteure in schwierigen – potentiell als krisenhaft erscheinenden – Situationen stehen vor der Aufgabe, konkrete kommunikative und handlungspraktische Lösungen zu finden, um solche Situationen bearbeitbar zu machen und sie idealerweise zu einem guten Ausgang zu führen. In der Gesprächsforschung wird beispielsweise untersucht, wie im Bereich der medizinischen Kommunikation zur Vermeidung von sprachlichen Missverständnissen beigetragen werden kann, die aus unterschiedlichem Sprachgebrauchswissen und unterschiedlicher Terminologiekenntnis entstehen.

 

Mehrsprachigkeit und interkulturelle Kommunikation

Ein mögliches Forschungsfeld in diesem Bereich ist zum Beispiel die erhöhte Wissenschaftskommunikation seit der Corona-Pandemie (vgl. Meyer und Komissarenko: 17). Die Kommunikation zwischen Wissenschaft und Gesellschaft wird stets auch von soziokulturellen Faktoren beeinflusst, da die Wissenschaft in der Regel zu einer heterogenen und diversen Gemeinschaft kommuniziert. Vor allem in einer multilingualen Gesellschaft sind grundlegende Kanäle zur Verständigung zu erschließen, um die gesamte Gesellschaft ansprechen und mit ihr interagieren zu können. Dabei kann es von Vorteil sein, die mediale Vielfalt im Blick zu haben und diese je nach Möglichkeit optimal zu nutzen. Angewandte Linguistinnen und Linguisten können dazu beitragen, die Gesellschaft darüber aufzuklären, wie Wissenschaftskommunikation innerhalb der gegebenen Rahmenbedingungen heute funktioniert sowie ein Bewusstsein für diese schaffen.

 

Fachkommunikation

Die Sektion Fachkommunikation klärt zum Beispiel über die sprachlichen Merkmale von Fake News auf oder thematisiert Fachneologismen und lexikalische Expansion (vgl. Meyer und Komissarenko: 11). „Omicron, Stagflation, Bitcoin-Mining und HIMARS: Krisen, Technologien, Politik, Marketing und Medien bringen wie alle gesellschaftlichen Entwicklungen ihren spezifischen Wortschatz mit in die Fachkommunikation und gemeinsprachliche Diskurse“ (ebd.). Es geht also darum Wissen an „Laienpublika ohne oder mit geringem Fachwissen“ (ebd.) zu vermitteln und die Gesellschaft über verschiedene Themen aufzuklären.

 

Migrationslinguistik

Im Bereich der Migrationslinguistik beschäftigt man sich u. a. mit der Frage, inwiefern Sprache und insbesondere die sog. „Bildungssprache“ für nicht-muttersprachliche Schülerinnen und Schüler in der Schule eine Hürde darstellt. Aber auch die Kommunikation zwischen Ärztinnen und Ärzten und ihren Patientinnen und Patienten ist Teil der Migrationslinguistik. Es geht um den Erhalt und Ausbau mehrsprachiger Kompetenzen mithilfe von Programmen und didaktischen Ansätzen.

Weitere Bereiche, in denen angewandt-linguistische Aufklärungsarbeit wichtig ist, sind: Medienkommunikation, Textlinguistik und Stilistik.

 Simone Voran, Universität Würzburg

Wir haben einige angewandt-linguistische Projekte zusammengetragen, in denen die Tätigkeit Aufklären ausgeübt wird.

Sie finden sie hier: #Aufklären.